In Polen hieß das über Jahre populärste tragbare Röhrenradio der 1950er-Jahre „Szarotka“, zu Deutsch „Edelweiß“. Wie die hübsche Bergblume hat auch dieses Radio seine Wurzeln in den Alpen: Es ist bei Siemens Austria in Wien entwickelt und als Lizenzprodukt von der polnischen Firma ZRK hergestellt worden. Über den Warenaustausch in den sozialistischen Ländern kamen etliche „Zarotkas“ seinerzeit auch in die DDR und erfreuten sich dort großer Beliebtheit.
Das Edelweiß: es gibt wohl kaum etwas, dass Schönheit der Bergwelt und Freude an der Natur besser symbolisiert. Und in den 1950er-Jahren sehnte man sich nach der Natur im Gebirge, und wenn die Menschen in Urlaub fuhren, unternahmen sie Touren in die Berge, wollten aber dabei nicht von dem Geschehen in der Welt abgeschnitten sein. Die Nachfrage nach wirklich tragbaren Radios wurde deshalb immer größer.
Miniaturröhren für kleine Radios
Nachdem in den letzten Kriegsjahren in den USA die siebenpoligen Miniaturröhren in Allglastechnik entwickelt worden waren, kamen diese Anfang der 1950er-Jahre auch nach Europa. Mit den Röhrentypen der D…90er-Serie und den gleichzeitig insbesondere bei Philips entwickelten miniaturisierten Bauelementen (Drehkondensatoren, Filter) ließen sich kompakte Radios bauen, die wirklich „tragbar“ waren und von denen die bis dahin voluminösen „Kofferradios“ abgelöst wurden.
In Deutschland und auch in Österreich entwickelten so gut wie alle Radiohersteller solche Geräte, in der Regel Sechskreissuper mit vier Röhren (typisch: DK92/1R5, DF91/1T4, DAF91/1S5, DL94/3S4). Auch Siemens Austria, Wien, stellte auf der 1953 dort stattfindenden Frühjahrsmesse in dieser Geräteklasse den „Super 541 B“ vor [1] (Bild 1, Schaltung Bild 2).
Auch die meisten anderen Radioproduzenten hatten damals ähnliches im Programm, so z. B. Kapsch das Gerät „ABC Weekend 3“. Diese Radios lassen sich sowohl mit Batterien als auch am Stromnetz betreiben. Damit sind sie auch als vollwertige Heimempfänger zu nutzen, ohne im stationären Betrieb die teure Anodenbatterie zu verbrauchen. Der Unterschied zwischen beiden Geräten besteht allerdings darin, dass Siemens die Netzversorgung in einer eigenen Einheit untergebracht hat, auf die sich das Radio im stationären Betrieb einfach aufsetzen lässt. Dabei erfolgt die Umschaltung von Batterie- auf Netzbetrieb automatisch mit Hilfe der im Gerät vorhandenen Kontaktsätze, die von Stiften im Netzgerät betätigt werden. Das integrierte Netzteil des Kapsch-Radios hat den Nachteil, dass man das zusätzliche Gewicht auch im Mobilbetrieb immer mit sich herumtragen muss.
Vorgängermodell „Super 541 B“
Der in Wien 1953 von Siemens Austria (WSW) präsentierte „Super 541 B“ ist ein handlicher, weniger als 2 kg schwerer Mittelwellenempfänger, der einige Wochen später unter der Bezeichnung „Graziella“ (italienischer Mädchenname, stammt vom lateinischen Wort für Anmut) in Österreich auf den Markt kam [2] und in leicht modifizierter Form, z. B mit Abstimmanzeigeröhre DM70 und unterschiedlichen Farbvarianten bis Anfang der 1960er-Jahre angeboten wurde. Siemens Austria hatte damals ein Lizenzabkommen mit der Warschauer Firma ZRK „Zaklady Radiowe im. M. Kasprzaka“ (Radiowerk Martin Kasprzak, später „Unitra“). ZRK existierte von 1949 bis 1999 und produzierte seinerzeit für den polnischen und Ostblock-Markt Radios ausländischer Hersteller in Lizenz, unter anderem von der schwedischen Firma AGA und in den 1970er-Jahren auch Tonbandgeräte von Grundig. Auf der Basis des Lizenzabkommens begann ZRK die Fertigung 1956 [3] eines mit dem Siemens-Typ „Graziella“ fast identischen Radios, das den Namen „Touristenempfänger Edelweiß“ („Odbiornik turystyczny Szarotka“) (Bild 6) erhielt und im März 1957 erstmals auf der Frühjahrsmesse in Leipzig dem internationalen Publikum präsentiert wurde [4]. Etwa ab 1958 war „Szaraotka“ als offizielles Importgerät auch in der DDR erhältlich, um den damals dort nicht aus eigener Produktion zu deckenden Bedarf an tragbaren Radios zu befriedigen.
Schaltung mit interessanten Details
Für ein Gerät dieser Jahrgänge mit Röhren der D…90er-Serie weist die Schaltung (Bild 4, Bild 5) zunächst keine Besonderheiten auf. Es ist, wie bereits erwähnt, ein Sechskreissuper mit den vier Röhren 1R5, 1T4, 1S5, 3S4). Erwähnenswert ist die Abstimmanzeige mit dem „Magischen Ausrufungszeichen“ DM70, die nicht in jedem tragbaren Radio jener Jahre zu finden ist. Diese Miniaturröhre wird direkt von der Regelspannung angesteuert: Je stärker das Eingangssignal, um so kürzer ist der angezeigte Strich (Bild 12).
An der Rückseite des Gehäuses findet sich eine 4-mm-Buchse zum Anschluss einer externen Drahtantenne. Diese wird beim Empfang im Kurzwellenbereich benötigt.
Eine Sparschaltung lässt sich vom „O – N-Umschalter“ aktivieren, der sich an der Oberseite des Gehäuses unterhalb des Tragegriffes befindet. Hiermit wird die Gittervorspannung der Endröhre so verändert, dass weniger Ruhestrom fließt. In der Stellung „N“ liegt der Anodenstrombedarf des Gerätes bei etwa 13,5 mA, in der Stellung „O“ bei 9,5 mA. Wenn das Gerät mit Netzteil betrieben wird, ist diese Möglichkeit abgeschaltet. Ein Satz Batterien (Anodenbatterie 67,5 V, 2 x Monozelle 1,5 V parallel für die Heizung) reicht für 25 bis 30 Stunden Betrieb. Wenn das Gerät auf dem Netzteiluntersatz steht, wird über einen Widerstand von 68 kΩ auf die Anodenbatterie ein geringer Strom zur „Regenerierung“ geschaltet. Das Netzgerät sollte deshalb dauernd einschaltet bleiben und besitzt aus diesem Grund keinen eigenen Netzschalter.
Interessant ist Konstruktion des Netzteils (Bild 9). Es gibt in der ersten Ausführung zwei identische Netztransformatoren, die je nach Netzspannung (120 oder 220 Volt) parallel oder in Reihe geschaltet werden. Der Grund dafür ist wohl, dass ein größerer Transformator zu hoch für den Untersatz des Radios gewesen wäre (Bild 10). In einer späteren Version gab es nur noch einen Transformator, und an Stelle der Selengleichrichter wurden hier Germaniumdioden (Typen DZG1 bzw. DZG7) verwendet (Bild 11).
Im Laufe der Jahre wurden am Radio verschiedene kleinere Änderungen vorgenommen. So gab es die Versionen „Szarotka“, „Szarotka 2“ und „Szarotka 3“, die sich insbesondere in den Empfangsbereichen unterscheiden: Während die österreichische „Grazietta“ nur die MW-Frequenzen empfängt, ist das polnische „Szarotka“-Radio in der ersten Version mit den Bereichen MW und LW (Bild 13) sowie später auch MW, LW und KW (25-m-Band) ausgestattet. Die Umschaltung erfolgt mit Tasten auf der Geräteoberseite. Die elfenbeinfarbenen Gehäuse waren auf der Frontseite zunächst mit senkrechten, schmalen, später mit waagerechten, breiten Zierrippen versehen. Es gab auch Geräte in grünen (Bild 16) und roten Gehäusen, die sind aber seltener. Als Zubehör wurde eine Ledertasche angeboten (Bild 15).
Teiltransitorisierte „Szarotka“
Beim der Firma ZRK gab es schon recht früh die Überlegung, tragbare Radios zu transistorisieren. Weil damals preisgünstige HF-Transistoren nicht zur Verfügung standen, ließ sich ein vollständig transistorisiertes Gerät noch nicht zu einen konkurrenzfähigen Preis produzieren. ZRK entwickelte ein Hybridgerät, dessen HF-Stufen mit Röhren und die NF- und Endstufe mit Transistoren bestückt sind. Um die teure Anodenbatterie einzusparen, baute man noch einen Transistor-Inverter ein, der aus den 6 Volt der vier Monozellen die Anodenspannung erzeugt. Dieses Gerät wurde 1958 auf der internationale Messe in Poznań dem Publikum präsentiert. Weil dann die Röhren im HF-Teil doch bald von Transistoren verdrängt wurden, gab es nur eine Vorserienproduktion. Die Massenfertigung dieses Typs ist nie aufgenommen worden, deshalb sind dieses Geräte heute auch nur noch äußerst selten zu finden. Zu erkennen ist die Hybrid-Version äußerlich an dem ovalen Lautsprecherausschnitt (Bild 17) [8].
Restaurierung
„Szraotka“-Radios sind heute noch gut erhältlich, in Polen z. B. auf im Internet-Auktionshaus www.allegro.pl. Sie werden dort je nach Zustand mit Netzgerät für Preise angeboten, die zwischen weniger als100 (25 Euro) und etwa 300 Sloty (etwa 75 Euro) liegen. Auch auf Flohmärkten sind sie zu finden, nicht nur in Polen, manchmal auch im Osten Deutschlands im grenznahen Bereich. Es lohnt sich auf jeden Fall, die sammelnswerten „Szarotka“-Radios zu restaurieren, denn die Geräte sind im Grund solide gebaut.
Schwachpunkte sind die Filter: Es ist allseits bekannt, dass die Kerne der verwendeten Philips-Miniaturfilter sich von den Verstellschrauben lösen und in den Abschirmbecher fallen. Die ZF liegt frequenzmäßig daneben und lässt sich nicht mehr abgleichen. Hier hilft nur ein Ausbau der Filter, Versuch der Reparatur (Einkleben der Ferritkerne) oder Komplett-Austausch. Deshalb sollte man an den Filtern möglichst nicht drehen, solange der ZF-Abgleich einigermaßen stimmt. Ein weiterer kritischer Punkt ist, dass die Selengleichrichter im Netzteil nach vielen Jahren hochohmig geworden sind. Die im Längszweig liegenden Gleichrichterstrecken sind weniger kritisch, denn deren Alterung sorgt lediglich für zu geringe Spannung. Gefährlich für die Heizfäden wird es allerdings, wenn der Selengleichrichter am Heizspannungs-Ausgang hochohmig wird Er dient der Spannungsbegrenzung. Im Gerät des Verfassers standen hier im Leerlauf 8,5 Volt an – absolut tödlich für die Heizfäden der Batterieröhren. Zwei Si-Dioden (1N4001 oder SY360/1) in Reihe in Flussrichtung nach Masse parallel zum Selengleichrichter geschaltet sorgen dafür, dass die Heizspannung des Netzteils auch im Leerlauf auf nicht mehr als 1,5 Volt ansteigt.
Schwachpunkt der Mechanik ist die Befestigung des Lautsprechers: Die in die Gehäuseschale eingepressten Gewindebuchsen brechen gerne mitsamt der Kunststoffnasen ab (Bild 14). Wenn man Glück hat, finden sie sich noch im Gehäuse und lassen sich mit Kunststoffkleber wieder befestigen. Wenn sie verloren sind, muss man mit Zweikomponenten- oder Heißkleber (Vorsicht!) eine neue Befestigung „basteln“.
Die Wellenbereichstasten neigen nach den vielen Jahren dazu, nicht mehr sauber einzurasten. Hier muss der Einrastmechanismus überprüft und gegebenenfalls repariert werden, der erst zugänglich ist, wenn Chassis und Skala ausgebaut sind.
Das Gehäuse aus thermoplastischem Kunststoff ist nach vielen Jahren oft vergilbt oder von einer zähen Schmutzschicht überzogen. Diese sollte man nur mit milden Reinigungsmitteln entfernen (Wasser mit ein wenig Spülmittel, aber auf keinen Fall Aceton, Nitroverdünner oder ähnliches), sonst ist die Oberfläche unwiederbringlich dahin.
Wenn alles wieder richtig funktioniert und aufpoliert ist, hat man ein schmuckes kleines Radio, das sich – wie eine Edelweißpflanze – durchaus sehen lassen kann.
Quellen
[1] Biebl, H.: Siemens Austria Super 541 B. Radiotechnik (Österreich) 1953, Heft 3, Seiten 77 – 80.
[2] o. V.: Anzeige in der Zeitschrift „Radiotechnik“ (Österreich) 1953, Heft 4, Seite 114.
[3] Die Schaltung des Gerätes wurde in der polnischen Zeitschrift „Radioamator“ 1956, Heft 10 vorgestellt (siehe http://www.fonar.com.pl/audio/schematy/radioamator/1956_10_1.htm)
[4] o. V.: Bericht von der Leipziger Frühjahrsmesse 1957. Radio und Fernsehen 1957, Heft 7, Seite 199.
[5] o. V. Deutschsprachige Bedienungsanleitung „Szarotka 2“von ZRK.
[6] Trusz, W., Dombrowicki, J., Radio i telewizja w domu, Wydawnictwa Komunikacyjne, wydanie 1, Warszawa, 1958
[7] http://oldradio.pl
[8] http://pl.wikipedia.org/wiki/Szarotka_(radioodbiornik).
Autor: Peter von Bechen
Der Beitrag wurde erstmals veröffentlicht in der Zeitschrift „Funkgeschichte“ Nr. 206 (2012), Publikation der GFGF e. V. (www.gfgf.org), Seiten 210 – 215. Diese Zeitschrift ist nur im Rahmen der GFGF-Mitgliedschaft zu beziehen.